§ 8
Persönliche und versicherungsrechtliche Voraussetzungen
(1) Die persönlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe haben Versicherte erfüllt, bei denen die Voraussetzungen des § 10 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch vorliegen.
(2) Für die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe gilt § 11 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch entsprechend; § 17 Abs. 1 Satz 2 ist hierbei nicht anzuwenden.
Für die persönlichen Voraussetzungen gilt § 10 SGB VI.
Mit dem in § 10 SGB VI verwendeten Begriff „voraussichtlich“ wird auf die sog. positive Erfolgsprognose abgehoben, wonach die Erfolgsaussichten der Leistungen zur Teilhabe vor ihrem Beginn zu beurteilen sind. Es muss vor Beginn der Rehabilitationsleistungen zumindest eine Aussicht auf ihren Erfolg bestehen; der Erfolg muss überwiegend wahrscheinlich sein.
Der Begriff der Krankheit ist im Rehabilitationsrecht weit auszulegen. Als Krankheit ist danach jede regelwidrige körperliche oder seelisch/geistige Störung des Gesundheitszustandes zu verstehen, die die individuelle Erwerbsfähigkeit des Versicherten zu beeinträchtigen droht.
Mit dem am 01.01.2001 in Kraft getretenen Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ist die Abwendung einer wesentlichen Verschlechterung einer bereits geminderten Erwerbsfähigkeit neu in die Anspruchsvoraussetzungen für Leistungen zur Rehabilitation aufgenommen worden. Kann bei bereits geminderter Erwerbsfähigkeit diese zwar nicht wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden, ist aber zu erwarten, dass mit der Durchführung einer Rehabilitationsleistung eine wesentliche Verschlechterung der Erwerbsfähigkeit abgewendet und somit der (bisherige) Arbeitsplatz erhalten werden kann, ist das Rehabilitationsziel der (Wieder-) Eingliederung in das Erwerbsleben erreicht. Auch wenn eine Minderung der Erwerbsfähigkeit vorliegt, die einen Rentenanspruch nicht begründet, ist gleichwohl eine Rehabilitation möglich, wenn im konkreten Einzelfall eine wesentliche Besserung der Erwerbsfähigkeit sowohl bei Gefährdung der Erwerbsfähigkeit als auch bei Minderung der Erwerbsfähigkeit aussichtsreich erscheint. Bis zum 31.12.2000 forderte § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b SGB VI die Wahrscheinlichkeit der Abwendung von Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit.
Nach der ab 01.01.2001 geltenden Rechtslage sind in der AdL daher Rehabilitationsleistungen für Versicherte möglich, deren Erwerbsfähigkeit
a) eine Zeitspanne von 6 Stunden und mehr umfasst, wenn durch die Leistung eine Minderung der Erwerbsfähigkeit oder deren wesentliche Verschlechterung abgewendet werden kann,
b) eine Zeitspanne zwischen 3 und unter 6 Stunden umfasst, wenn durch die Leistung die Erwerbsfähigkeit wiederhergestellt (auf 6 Stunden und mehr) oder eine wesentliche Verschlechterung (auf unter 3 Stunden) abgewendet werden kann,
c) eine Zeitspanne von unter 3 Stunden umfasst, wenn durch die Leistung eine vollständige (mehr als 6 Stunden) oder teilweise (zwischen 3 und unter 6 Stunden) Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit erfolgen kann.
Mit der abstrakten Betrachtungsweise bei den Erwerbsminderungsrenten durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit wurde die Rente wegen Berufsunfähigkeit abgeschafft, daher entfällt in § 10 SGB VI der entsprechende Hinweis.
§ 10 Abs. 3 SGB VI stellt klar, dass die Regelungen in den Absätzen 1 und 2 nicht die persönlichen Voraussetzungen umfassen, die bei den Versicherten oder ihren Kindern vorliegen müssen, um die Leistungen zur Prävention, Kinderrehabilitation oder zur Nachsorge in Anspruch nehmen zu können. Hierfür ist stattdessen erforderlich, dass die Versicherten oder ihre Kinder die in §§ 14 Abs. 1, 15a Abs. 1 Satz 2 und 17 Abs. 1 SGB VI geregelten spezifischen persönlichen Voraussetzungen erfüllen.
Die persönlichen Voraussetzungen für Präventionsleistungen gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB VI liegen vor, wenn der Versicherte erste gesundheitliche Beeinträchtigungen aufweist, die zwar an sich noch keinen Krankheitswert haben, aber die individuelle Erwerbsfähigkeit, eventuell auch unter Einwirkung weiterer negativer Einflussfaktoren, ungünstig beeinflussen können. Erste gesundheitliche Beeinträchtigungen sind dabei beispielsweise:
- beginnende Funktionsstörungen der Bewegungsorgane
- psychische Beeinträchtigungen
- beginnende Funktionsstörungen verschiedener Organsysteme
- Störungen der Atemwege, die zur Chronizität neigen
Die beginnenden Funktionsstörungen und Beeinträchtigungen können isoliert oder in Wechselwirkung mit Kontextfaktoren auftreten.
Erste gesundheitliche Beeinträchtigungen können sich dabei durch Faktoren aus dem Arbeitsumfeld ergeben. Dies sind beispielsweise:
- Arbeitsinhalte (Art und Umfang der Tätigkeit, zum Beispiel starke körperliche Belastungen sowie besondere Verantwortung für Personen und Sachwerte)
- Arbeitsumgebung (zum Beispiel Lärm)
- Arbeitsorganisation (zum Beispiel Arbeitsverdichtung)
- Arbeitsmittel (zum Beispiel dauerhafte Tätigkeiten auf dem Schlepper)
- Persönliche Lebenssituation (psychosoziale Komponenten und schwierige individuelle Lebenslagen) wie zum Beispiel:
- ungeklärte Hofabgabe,
- Ausbruch von Krankheiten und Seuchen im Stall,
- Überforderung zwischen der Pflege von Angehörigen und Unternehmen.
Sie können ihre Ursache aber auch in der Person des Versicherten haben, so dass auch individuelle verhaltensbedingte Faktoren (wie ungesundes Ernährungsverhalten, Bewegungsmangel, Nikotinkonsum und übermäßigen Alkoholkonsum, mangelndes Potential zur Selbsthilfe) Berücksichtigung finden sollen.
Hinweise auf erste gesundheitliche Beeinträchtigungen können beispielsweise sein:
- Auffällige Arbeitsunfähigkeitszeiten (analog zu § 167 Abs. 2 SGB IX)
- Auffällige Medikation
- Längerfristige oder rezidivierende Schmerzproblematik
- Probleme mit Gewicht/Ernährung/Stoffwechsel
Zwischen der Gefährdung der ausgeübten Erwerbstätigkeit und einer evtl. Gefährdung der Erwerbsfähigkeit muss ein kausaler Zusammenhang bestehen (vgl. § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB VI a. E.).
Für Versicherte mit manifesten Befunden, bei denen bereits umfangreiche therapeutische oder akutmedizinische Leistungen erforderlich sind, kommen Präventionsleistungen grundsätzlich nicht in Betracht. Bei Vorliegen eines hohen Präventions- bzw. bereits bestehenden Rehabilitationsbedarfes, ist der Versicherte zwingend in die Akutversorgung/Krankenbehandlung der GKV oder Rehabilitation nach § 15 SGB VI zu überführen (zu den Leistungen s. § 10).
Für die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen wird § 11 SGB VI für entsprechend anwendbar erklärt.
Versicherte i. S. d. § 11 SGB VI sind grundsätzlich sowohl die nach § 1 und dem Übergangsrecht Pflichtversicherten (Landwirte und mitarbeitende Familienangehörige) als auch die freiwillig Versicherten nach §§ 4 und 5. Im Rahmen der entsprechenden Anwendung des § 11 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI ist nur eine nach § 1 pflichtversicherte Tätigkeit zu berücksichtigen (Näheres s. zu § 11 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI).
Für die Beurteilung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen kommt es auf den Zeitpunkt der Antragstellung an. Soweit die LAK von Amts wegen eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation erbringt, muss der Versicherte nach § 44 Abs. 1 ALG i. V. m. § 115 Abs. 4 Satz 1 SGB VI zustimmen. Da die Zustimmung als Antrag auf Leistungen zur Rehabilitation gilt (§ 115 Abs. 4 Satz 2 SGB VI), gilt der Tag der Zustimmung als Antragstellung i. S. d. § 11 SGB VI.
Der zum 01.01.2008 angefügte 2. Halbsatz steht im Zusammenhang mit § 11 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 3 SGB VI.
§ 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI
Für die Erfüllung der Wartezeit von 15 Jahren gilt § 17. Ist der Antrag nicht vor dem 01.01.2008 gestellt worden und hat die Leistung auch nicht vor diesem Zeitpunkt begonnen, ist dabei nach dem zum 01.01.2008 angefügten 2. Halbsatz § 17 Abs. 1 Satz 2 nicht anzuwenden (vgl. § 95). Damit wird verhindert, dass Ansprüche auf Leistungen zur Teilhabe gegenüber der LAK nur aufgrund der in § 17 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Anrechnung von in anderen Sicherungssystemen zurückgelegten Zeiten entstehen. Anders als im Rahmen der Prüfung von Rentenansprüchen können also auf die 15-jährige Wartezeit nur Beitragszeiten nach dem ALG angerechnet werden.
§ 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI
Die Vorschrift erfasst nur Bezieher einer Rente wegen EM (§ 13). Bezieher einer Witwen- oder Witwerrente wegen EM (§ 14 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c) erfüllen aber die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 SGB VI.
§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI
Der Zwei-Jahreszeitraum endet am Tag vor der Antragstellung (§ 26 SGB X). Zu berücksichtigen sind grundsätzlich nur Pflichtbeitragszeiten in der AdL. Pflichtbeiträge sind Beiträge aufgrund einer Versicherungspflicht als Landwirt, mitarbeitender Familienangehöriger oder als Weiterversicherter. Regelungen, nach denen Beiträge als gezahlt gelten (§ 92, § 14 Abs. 2 FELEG), sind zu berücksichtigen (vgl. § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB VI i. V. m. § 55 Abs. 2 SGB VI). Für den Nachweis der sechs Kalendermonate Pflichtbeiträge zählt der in den Monat der Antragstellung fallende Pflichtbeitrag mit.
Durch den zum 01.01.2011 neu aufgenommenen § 11 Abs. 2 Satz 3 SGB VI wird sichergestellt, dass Bezieher von Arbeitslosengeld II, für die seit 01.01.2011 keine Pflichtbeiträge mehr gezahlt werden (vgl. § 58 Abs. 1 Nr. 6 SGB VI und § 170 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI), bereits erworbene versicherungsrechtliche Zugangsvoraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe auch weiterhin erfüllen können. Der Zwei-Jahreszeitraum verlängert sich um Anrechnungszeiten wegen des Bezuges von Arbeitslosengeld II (Rdschr. L 75/11).
§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI
Mit Blick auf § 11 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI hat die Vorschrift nur Bedeutung, wenn die nach § 1 versicherte Tätigkeit noch nicht für sechs Monate ausgeübt worden ist. Mit dem Begriff Ausbildung werden alle Arten der Schul- und Berufsausbildung erfasst. Die Zweijahresfrist bezieht sich nur auf die Aufnahme der Tätigkeit; der Antrag kann später gestellt werden. Die nach § 1 versicherte Tätigkeit muss aber ununterbrochen bis zum Antrag ausgeübt worden sein. Die Alternative „oder nach einer solchen Beschäftigung oder Tätigkeit bis zum Antrag arbeitsunfähig oder arbeitslos gewesen sind“ ist für die Prüfung der Voraussetzungen des § 8 ohne Belang, weil die Versicherungspflicht nach dem ALG nicht an eine Beschäftigung anknüpft und durch den Eintritt von Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitslosigkeit nicht zwingend beendet wird.
§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI
Die Vorschrift erfasst nur Versicherte, die noch keine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit beziehen (für diese gilt § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI). Die allgemeine Wartezeit umfasst fünf Jahre (§ 50 Abs. 1 SGB VI). Auch hier bewirkt der 2. Halbsatz, dass nur Beitragszeiten nach dem ALG angerechnet werden dürfen (s. o. zu § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI).
§ 11 Abs. 2 Satz 2 SGB VI
Nach § 55 Abs. 2 SGB VI gehören zu den Pflichtbeiträgen auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten.
Für die AdL folgt daraus, dass Regelungen, nach denen Beiträge als gezahlt gelten, zu berücksichtigen sind (s. o. zu § 11 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI).
§ 11 Abs. 2 Satz 4 SGB VI
Medizinische Rehabilitationsleistungen für Kinder von Versicherten setzen voraus, dass der Versicherte die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen hierfür erfüllt.
§ 11 Abs. 3 SGB VI
Erfüllen überlebende Ehegatten nicht selbst die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 11 Abs. 1 und 2 SGB VI, können ihnen Leistungen zur Teilhabe nur erbracht werden, wenn ein Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente nach § 14 ALG besteht.
Für im Ausland wohnende Berechtigte ist § 42 Abs. 1 zu beachten (Näheres dort).