§ 75
Erstattungsberechtigte
1Beiträge werden auf Antrag erstattet
-
Versicherten, die die Wartezeit von 15 Jahren bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze nicht mehr erfüllen können,
- Witwen, Witwern und Waisen, wenn wegen der Nichterfüllung der Wartezeit von fünf Jahren ein Anspruch auf Leistungen nach dem Tode des Versicherten nicht besteht, Halbwaisen aber nur, wenn eine Witwe oder ein Witwer nicht vorhanden ist. 2Mehreren Waisen steht der Erstattungsbetrag zu gleichen Teilen zu.
Erläuterungen
Allgemeines zu §§ 75 bis 77
Die Vorschriften über die Beitragserstattung sind durch das ASRG 1995 in Anlehnung an die Regelung in der gesetzlichen Rentenversicherung (vgl. § 210 SGB VI) neu gefasst worden (vgl. Begründung zu § 75 ALG des Regierungsentwurfs eines ASRG 1995; Rombach, W.: Alterssicherung der Landwirte, S. 229).
Die Beitragserstattung ist einer - zumindest zum Teil - umlagefinanzierten Alterssicherung grundsätzlich systemfremd, da es dem Wesen der auf dem Prinzip des globalen Risikoausgleichs beruhenden Versicherung entspricht, dass bei Nichterfüllung der Leistungsvoraussetzungen die Beiträge an die Versichertengemeinschaft fallen. Sie wird dem Erstattungsberechtigten jedoch - nach Einbehalt eines Risikoanteils zugunsten des Leistungsträgers in Höhe der Beitragshälfte - aus Gründen der Billigkeit gewährt, um dem Versicherten das Gefühl zu ersparen, die Beiträge „umsonst“ gezahlt zu haben (BVerfG, 28.11.1967 - 1 BvR 515/63, BVerfGE 22, 349, 366; 24.11.1986 - 1 BvR 772/85, 1 BvR 773/85 und 1 BvR 939/85, NJW 1988, 250, 251; BSG, 15.03.1978 - 1/5 RJ 136/76, BSGE 46, 67, 70 f.; 19.03.1980 - 11 RA 48/79, SozR 2200 § 1303 Nr. 16; 28.11.1984 - 4 RJ 81/83). Das BVerfG und das BSG haben die Frage, ob ein Anspruch auf Erstattung rechtmäßig gezahlter Beiträge in den Schutzbereich von Artikel 14 GG fällt, bislang nicht allgemein beantwortet (vgl. auch BSG, 14.09.1989 - 4 RA 27/89, SozR 2200 § 1303 Nr. 35). Die Rechtsprechung hat dem Gesetzgeber im Hinblick auf die auf Billigkeitserwägungen beruhende Erstattungsberechtigung und mit Rücksicht darauf, dass die Beitragserstattung - anders als die Artikel 14 GG unterfallende Versichertenrente - keine der Existenzsicherung dienende Funktion hat, ein weites Gestaltungsermessen eingeräumt (BVerfG, 28.11.1967 - 1 BvR 515/63, BVerfGE 22, 349, 367), bei dem er aber dem verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsprinzip und damit dem Gebot sachgemäßen Differenzierens Rechnung tragen muss. In diesem Sinne kann in dem Fortfall der in dem früheren Recht vorgesehenen Regelung über die Beitragserstattung an Mifa (§ 27a GAL), die mit Inkrafttreten des ALG ersatzlos entfallen ist, kein Eingriff in den Schutzbereich des Artikel 14 Abs. 1 Satz 1 GG gesehen werden, da diese Erstattungsansprüche nicht der Existenzsicherung dienen (BSG, 02.12.1999 - B 10 LW 15/98 R, SozR 3-5850 § 27a Nr. 3 GAL, Rdschr. AH 43/01; 11.12.2002 - B 10 LW 9/01 R, Rdschr. AH 6/03).
Entsprechend dem bis zum 31.12.1994 geltenden Recht ist bei der Erstattung von Beiträgen zwischen zu Recht und zu Unrecht entrichteten Beiträgen zu unterscheiden. Die Erstattung rechtswirksamer Beiträge richtet sich nunmehr nach § 75 (für eine Übergangszeit ist § 117 Abs. 1 daneben zu beachten), wohingegen sich die Erstattung rechtsunwirksamer Beiträge nach § 26 SGB IV richtet (hierbei sind die durch § 77 angeordneten Modifikationen zu beachten). Hinsichtlich der Erstattung rechtswirksamer Beiträge für die Zeit vor dem 01.01.1995 ist § 117 Abs. 2 zu beachten.
Allgemeines zu § 75
Die Vorschrift legt die begünstigten Personengruppen fest. Ein Anspruch auf Beitragserstattung wird grundsätzlich in solchen Fällen zuerkannt, in denen das mit der Einbeziehung in die AdL vorrangig verfolgte Ziel eines Rentenanspruchs nicht oder voraussichtlich nicht erreicht werden kann. Versicherten, deren Beiträge zu der Finanzierung der AdL beigetragen haben, die davon jedoch andererseits keinen Vorteil erlangen können, soll damit aus Billigkeitsgründen ein Ausgleich gewährt werden. Ob eine Erstattung der für einen Mifa rechtmäßig entrichteten Beiträge nach § 75 - in Fortführung der früheren Regelung des § 27a GAL - in Betracht kommt, hat das BSG bislang offen gelassen (BSG, 02.12.1999 - B 10 LW 15/98 R, SozR 3-5850 § 27a Nr. 3 GAL, Rdschr. AH 43/01; 11.12.2002 - B 10 LW 9/01 R, Rdschr. AH 6/03). Jedenfalls könne § 27a GAL nicht im Wege der Auslegung in den Regelungszusammenhang des ALG „hineingelesen“ werden. Der Gesetzgeber habe sich bewusst und ausdrücklich dafür entschieden, eine derartige Regelung in das ALG nicht aufzunehmen, da er die Beitragserstattung in der AdL ähnlich wie in der GRV habe regeln wollen. Dies verstoße nicht gegen höherrangiges Recht.
Eine Beitragserstattung ist ausgeschlossen, wenn beim Familiengericht ein Versorgungsausgleichsverfahren anhängig ist. Dies ergibt sich aus § 29 VersAusglG. Nach dieser Regelung ist bis zum wirksamen Abschluss eines Verfahrens über den Versorgungsausgleich der Versorgungsträger verpflichtet, Zahlungen an die ausgleichspflichtige Person zu unterlassen, die sich auf die Höhe des Ausgleichswerts auswirken. Mit dieser vorrangigen Norm soll verhindert werden, dass durch Manipulation eines Ehegatten oder Lebenspartners dem Versorgungsausgleich die Grundlage entzogen wird, indem während eines laufenden Versorgungsausgleichsverfahrens eine Auszahlung eines erworbenen Anrechts erfolgt. Das Zahlungsverbot des § 29 VersAusglG gilt nicht für Zahlungen, wenn diese ausschließlich zur Korrektur rechtswidrig bestehender Versicherungsverhältnisse dienen (Rückerstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge nach § 77 i. V. m. § 26 SGB IV).
Nummer 1
Die Möglichkeit der Erfüllung der 15-jährigen Wartezeit bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze nach § 11 Abs. 3 (§ 87a) darf objektiv nicht bestehen. Die Begrenzung der Erfüllung der Wartezeit auf die Zeit bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze korrespondiert mit der in § 2 Nr. 1 Buchst. a geregelten Versicherungsfreiheit bei Erreichen der Regelaltersgrenze. Soweit die Möglichkeit der Erfüllung der Wartezeit noch gegeben ist, kann ein Erstattungsanspruch nicht entstehen. Hierbei sind Zeiten nach § 17 Abs. 1 Satz 2 zu beachten.
Nummer 2
Hinterbliebene haben einen Anspruch auf Erstattung der vom verstorbenen Versicherten zu Recht gezahlten Beiträge, wenn aufgrund der Nichterfüllung der Wartezeit von fünf Jahren (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2) ein Anspruch auf Rente wegen Todes nicht besteht. § 90 Abs. 3 ist zu beachten. Kann also die Witwe zusammen mit eigenen Beiträgen zur AdL die Wartezeit für eine Witwenrente erfüllen, hat sie keinen Erstattungsanspruch; ob sie den nach § 90 Abs. 3 Satz 1 erforderlichen Antrag gestellt hat, ist unerheblich.
Der Wortlaut der Regelung erwähnt - im Gegensatz zu § 14 und § 88 - das Tatbestandsmerkmal „keine Wiederheirat durch den hinterbliebenen Ehegatten“ nicht. Eine Wiederheirat der Witwe oder des Witwers schließt den Anspruch auf Beitragserstattung somit nicht aus (Rdschr. V Nr. 8/07).
Bei Halbwaisen besteht der Anspruch nach Satz 2 nur dann, wenn ein hinterbliebener Ehegatte des verstorbenen Versicherten nicht vorhanden ist. Bedeutung erlangt diese Regelung für Kinder des verstorbenen Versicherten, die aus einer früheren Ehe stammen. Der die Eigenschaft als Halbwaise begründende Elternteil ist aufgrund der durchgeführten Ehescheidung lediglich früherer Ehegatte des verstorbenen Versicherten, dem ein Anspruch auf Beitragserstattung nicht zusteht. Da der Anspruch ausdrücklich nur bei Halbwaisen von einer zusätzlichen Bedingung abhängig ist, steht er Vollwaisen (Kindern des verstorbenen Versicherten aus erster Ehe) ohne Waisenrentenanspruch auch dann zu, wenn eine Witwe oder ein Witwer vorhanden ist. In solchen Fällen ist davon auszugehen, dass der vorhandene Erstattungsbetrag jeder anspruchsberechtigten Person zu gleichen Teilen zusteht. Sind also mehrere Waisen anspruchsberechtigt, wird der Erstattungsbetrag unter ihnen aufgeteilt.
Antragstellung
Der Anspruch auf Beitragserstattung ist antragsabhängig. Da dieser Antrag nicht nur begünstigende sondern zugleich auch nachteilige Folgen für den Antragsteller hat, ist ihm materiell-rechtliche Bedeutung beizumessen (vgl. BSG, 30.11.1972 - 12 RJ 360/71, SozR Nr. 15 zu § 1303 RVO; 30.10.1990 - 4 RLw 2/90, SozR 3-5850 § 27a Nr. 1 GAL, Rdschr. AH 20/90). Die nicht begünstigenden Rechtsfolgen ergeben sich aus § 76 Abs. 4 Satz 2 und 4 (vgl. § 210 Abs. 6 Satz 2 und 3 SGB VI).
Charakter der Beitragserstattung
Bei der Erstattung von rechtswirksamen Beiträgen handelt es sich nach der Rechtsprechung des BSG um eine soziale - einmalige - Geldleistung i. S. v. § 11 SGB I (BSG, 13.10.1983 - 11 RA 49/82, BSGE 56, 1, SozR 1200 § 44 Nr. 9).
Somit finden grundsätzlich alle Vorschriften des SGB I, die Regelungen zu Geldleistungen enthalten, Anwendung; u. a. gilt dies auch für die Verjährungsfrist des § 45 SGB I. Gleichwohl dürfte diese Vorschrift keine praktische Bedeutung erlangen, da Ansprüche auf Sozialleistungen erst in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres verjähren, in dem der Anspruch entstanden ist. Der Anspruch auf Beitragserstattung entsteht, sobald die im Gesetz bestimmten Voraussetzungen vorliegen (§ 40 Abs. 1 SGB I). Da dem Antrag auf Beitragserstattung materiell-rechtliche Bedeutung zukommt, kann der Anspruch auf Beitragserstattung und damit die Verjährungsfrist des § 45 SGB I frühestens im Zeitpunkt der Antragstellung entstehen.
Als einmalige Geldleistung unterliegt der Erstattungsanspruch nicht der Sonderrechtsnachfolge (§ 56 SGB I), sondern wird nach bürgerlichem Recht vererbt (BSG, 24.04.2003 - B 10 LW 15/02 R, Rdschr. AH 19/03 sowie LSG NRW, 12.01.2005 - L 8 LW 16/04, Rdschr. AH 16/05).