Suizid im Alter
Was bringt Seniorinnen und Senioren dazu, das eigene Leben beenden zu wollen? Wir stellen Risikofaktoren vor und zeigen, wie gefährdete Personen und ihre Angehörigen gegensteuern.
Risiken erkennen und handeln
Unerfüllte Lebenspläne, zunehmende Einschränkungen, Einsamkeit: Die Liste an Gründen, die ältere Personen zu Suizidgedanken bewegen können, ist lang.
Für viele Menschen ist zum Beispiel der Renteneintritt eine Hürde. Ein vergleichbar einschneidendes Ereignis stellt in der Landwirtschaft die Betriebsübergabe oder die Betriebsaufgabe dar. Zu den weiteren Risikofaktoren gehören:
- Alterungsprozesse und deren Auswirkungen auf selbständige Lebensführung
- Körperliche und psychosomatische Erkrankungen
- Psychische Erkrankungen, Depressionen und Suchterkrankungen
- Existenzfragen
- Soziale Risikofaktoren
- Anhaltende Konflikte in der Familie und im nahen Umfeld
- Plötzlicher Tod des Ehegatten
Psychische Erkrankungen und Suizidgedanken sind in der Gesellschaft noch immer ein Tabu. Auch deshalb ist die Aufmerksamkeit des persönlichen Umfelds wichtig, um Alarmsignale von Betroffenen rechtzeitig zu erkennen:
- Grübeln, Reizbarkeit und Suizidgedanken
- Sorge, anderen zur Last zu fallen
- Aufgabe gewohnter Interessen und Aktivitäten
- Rückzug aus zwischenmenschlichen Beziehungen
- Direkte oder indirekte Suizidankündigung
In Notfällen ist unsere Krisenhotline unter Tel. 0561 785-10101 rund um die Uhr erreichbar.
Zu den präventiven Maßnahmen gehört ein stabiles soziales Netzwerk. Hobbys oder Ehrenämter mildern Lebensumbrüche ab. Sport, ausgewogene Ernährung, Resilienz und Anti-Stress-Strategien fördern Fitness, Gesundheit und Wohlbefinden.
Bei belastenden Themen ist professionelle Unterstützung sinnvoll. Mit unserem breiten Seminarangebot bieten wir Orientierung und Austausch in verschiedenen Situationen, wie bei Betriebsübergabe oder Betriebsaufgabe. Zudem stärken wir die seelische und körperliche Gesundheit.
Im Interview
Suizidgefährdungen erkennen und handeln
Gerade für Seniorinnen und Senioren besteht eine hohe Suizidgefährdung. Warum das so ist und welche Maßnahmen gegensteuern, erläutert Prof. Dr. Barbara Schneider.
Frau Dr. Barbara Schneider, warum sind Menschen im Alter in erhöhtem Maße dem Risiko ausgesetzt, das eigene Leben zu beenden? Sie blicken ja oft auf ein langes und erfülltes Leben zurück.
Im optimalen Fall ist es so, dass Seniorinnen und Senioren auf ein langes und erfülltes Leben zurückblicken. Leider trifft das nicht auf alle zu. Die große Herausforderung des Älterwerdens ist jedoch, wenn sich nach und nach mehr Belastungen entwickeln. Die Sinne arbeiten immer weniger. Verschiedene Erkrankungen kommen dazu, die zum Teil mit Schmerzen einhergehen und das alltägliche Leben einschränken. Die Autonomie lässt nach; alles, was im besten Fall 60 Jahre lang gut funktioniert hat, klappt jetzt nicht mehr in dem Ausmaß, wie man es gewohnt war. Die Menschen sind auf Hilfe angewiesen, in ihrem Bewegungsradius eingeschränkt – und diese Entwicklung wird perspektivisch nicht besser.
In Deutschland und in anderen Ländern, zum Beispiel Ungarn und Österreich, steigen die Suizidraten mit zunehmendem Lebensalter an. Bei Männern steigen sie sogar schneller an als bei Frauen.
Wo sehen Sie im Vergleich die Risiken in der Grünen Branche?
Wer körperliche oder psychische Probleme hat, kann sich auf dem Land nicht mal eben schnell Hilfe holen oder eine Selbsthilfegruppe aufsuchen. Im ländlichen Raum sind die nächste Arztpraxis und das nächste Krankenhaus zum Teil schwer zu erreichen. Die Menschen steigen nicht einfach wie im städtischen Umfeld in den Bus und erreichen in zehn Minuten ihr Ziel. Die Entfernungen sind hier weitaus größer, alles braucht Zeit.
Für Landwirtinnen und Landwirte kommen noch weitere Aspekte hinzu. Ich bin im ländlichen Raum aufgewachsen, genauer gesagt im Frankenwald, und in der Familie gibt es landwirtschaftliche Betriebe. Daher weiß ich aus Erfahrung, dass gerade hier die Grenzen zwischen Arbeit und Familie verschwimmen. Die einzelnen Familienmitglieder sind sehr aufeinander angewiesen, eine Trennung von Arbeit und Familie ist nicht möglich. Treten Konflikte auf, können sie sich daher nicht einfach aus dem Weg gehen. Zudem übernehmen gerade in der Landwirtschaft noch außergewöhnlich oft Angehörige die Pflege von Eltern oder anderen Älteren zu Hause. Das birgt eine Menge Konfliktpotenzial. Wenn dann noch die nächste Generation den Betrieb übernimmt und erst mal alles anders macht, kann das Seniorinnen und Senioren in eine tiefe Krise stürzen. Betriebsübergaben sind damit ein großes Risiko, wenn es um das Thema Suizidgefährdung geht. Gleiches gilt für die Betriebsaufgabe, wenn Landwirtinnen und Landwirte erkennen, dass sie körperlich nicht mehr alles alleine schaffen können, es aber auch keinen Nachfolger für den Betrieb gibt, der vielleicht seit mehreren Generationen im Familienbesitz ist.
Vom Alter unabhängig ist die Tatsache, dass landwirtschaftliche Betriebe unvorhersehbaren und unbeeinflussbaren Faktoren ausgeliefert sind, die in anderen Branchen vergleichsweise geringe Bedeutung haben. Spielt zum Beispiel das Wetter nicht mit, kann das die ganze Ernte gefährden und die finanzielle Lage bedrohen.
Die Grüne Branche braucht einfach besondere Aufmerksamkeit und Gegenmaßnahmen.
Welche gezielten Gegenmaßnahmen gibt es?
Wichtig ist das eigene soziale Netzwerk und der rasche Zugang zu Gesundheitseinrichtungen. Niedrigschwellige Angebote und Angebote vor Ort sind von Bedeutung. Bei der Krisenhotline der SVLFG zum Beispiel können betroffene Landwirtinnen und Landwirte rund um die Uhr anrufen und sich von Expertinnen und Experten in akuten Notsituationen beraten lassen. Der Ausbau von Krisendiensten auf dem Land ist unerlässlich. Und was wir keinesfalls unterschätzen dürfen: Psychische Erkrankungen müssen in der Gesellschaft enttabuisiert und entstigmatisiert werden.
Wie können Betroffene vorbeugen?
Suizidgedanken können plötzlich auftreten, sich aber auch schleichend entwickeln. Betroffene müssen daher rechtzeitig erkennen, wenn es ihnen schlechter geht, wissen, an wen sie sich hilfesuchend wenden können, ein sicheres Netzwerk haben. Wer weiß, dass der Renteneintritt bevorsteht, sollte möglichst schon einige Zeit vorher zum Beispiel neue Hobbys finden, um auf die neu gewonnene Freizeit vorbereitet zu sein.
Dem Umfeld kommt bei der Suizidprävention eine bedeutende Rolle zu. Wenn eine Person über Suizid spricht, sich zurückzieht oder plötzlich keinen Kontakt mehr wünscht, sind das deutliche Warnsignale. Jede ungewöhnliche Änderung des Verhaltens, Hinweise auf Suizidmittel oder wenn jemand aus heiterem Himmel ein Testament macht, bietet das Anlass für ein Gespräch.
Wenn jemand akut Hilfe benötigt, sind psychiatrische Einrichtungen eine Anlaufstelle, Gespräche zu führen. Jedes Bundesland stellt online Listen mit psychiatrischen Kliniken zur Verfügung. Und keine Sorge, hier wird niemand sofort eingewiesen oder für "verrückt" erklärt.
An welchen Maßnahmen arbeiten Sie in der Arbeitsgruppe des Nationalen Suizidpräventionsprogramms? Welches Ziel wird verfolgt?
Die Arbeitsgruppe „Suizidprävention in der Grünen Branche“ konstituiert sich derzeit. Mitglieder sind Experten aus verschiedenen Bereichen, zum Beispiel der SVLFG, der Bundesarbeitsgemeinschaft, des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Ziel ist die Suizidprävention der Grünen Branche. Zu den Kernfragen gehören „Wie ist der aktuelle Stand in dem Bereich?“ und „Wo gibt es Hemmnisse?“. Hier möchten wir konkrete Maßnahmen ableiten und etablieren.
Warum ist Ihnen selbst die Suizidprävention so wichtig?
Das Thema beschäftigt mich, seit ich mein erstes Praktikum in der Psychiatrie gemacht habe. Dort waren Menschen, die schwer krank waren, aber der Meinung waren, sie würden keinen Suizid begehen wollen. Andere wiederum hatten gar keine weiteren Symptome, die für eine psychische Erkrankung sprachen, befanden sich aber in einer schweren suizidalen Krise. Diese Krise war aber der entscheidende Grund, warum sie sich umbringen wollten. Das hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, für betroffene Menschen da zu sein und so breit wie möglich präventive Maßnahmen aufzustellen.
Gibt es ein Schicksal, das Sie besonders berührt hat?
Geprägt hat mich die hohe Ambivalenz einer jungen Dame. Sie unternahm einen schweren Suizidversuch, hat sich aber nach dem Versuch selbst noch Hilfe geholt. Das hat mir gezeigt, wie unbeständig Suizidgedanken sind. Suizidgedanken zeigen an, dass jemand unter der gegebenen, meist als hoffnungslos und aussichtslos erlebten Situation nicht weiterleben kann. Suizidgedanken zeigen an, dass jemand unter der gegebenen, meist als hoffnungslos und aussichtslos erlebten Situation nicht weiterleben kann. Die betroffene Person will aber in der Regel nicht sterben. Der eindeutige Wunsch, einfach nicht mehr leben zu wollen, ist nur selten vorhanden. Deswegen: Wir brauchen ein Umfeld, das Suizidgedanken bemerkt und darauf reagiert. Wir brauchen Beziehungen, die uns helfen, uns gut zu tun. Wir brauchen niedrigschwellige Angebote. Das ist das, was hilft.
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