Stressfaktor Finanzen
Wirtschaftliche Probleme führen zu Schwierigkeiten in Familie und Betrieb. “Sozioökonomische Beratung und Mediation“ kann helfen, betrieblich und seelisch wieder auf einen guten Weg zu kommen.
Anne Dirksen, Sönke Harders und Isidor Schelle erzählen von ihren Erfahrungen.
Mediatoren und Berater im Interview
Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen und seit 33 Jahren mit einem Milchviehhalter verheiratet.
Wie lange sind Sie schon in diesem Bereich beratend tätig und was motiviert Sie?
Seit 1988. Für mich ist Landwirtschaft ein unverzichtbarer Teil unserer Gesellschaft. Sie kann nur funktionieren, wenn es den Menschen, die unsere Nahrung produzieren, gut geht. Deshalb stehen diese Menschen bei mir im Mittelpunkt. Meine Motivation ist es, sie zu begleiten und zu unterstützen, damit sie froh und munter ihre wertvolle Arbeit leisten können. Denn schon Fontane sagte: „Wer schaffen will, muss fröhlich sein“ – und dabei ist derzeit noch sehr viel Luft nach oben.
In welchen betrieblichen und persönlichen Situationen wenden sich die Menschen an Sie?
Die Themen sind sehr vielfältig. Sie reichen von finanziellen Belastungen wie „Konto dauerhaft im Minus“ bis hin zu „Bank hat die Darlehen fällig gestellt“. Zudem gibt es Fragen rund um den Generationswechsel: Woran müssen wir denken? Wie können wir gut miteinander leben und arbeiten? Was regeln wir wie vertraglich? Wie kann eine bessere Kommunikation gelingen? Ebenso häufig sind festgefahrene familiäre Konflikte, Arbeitsüberlastung, psychische Belastungen und Suizidgedanken. Weitere Themen sind die rechtliche und soziale Absicherung der einzelnen Familienmitglieder, sei es für Eingeheiratete, Pächter, Eigentümer, Mitgesellschafter oder Hofnachfolger. Auch Fragen zu sich selbst als Paar und künftige Altenteiler sind oft Thema.
Berichten Hilfesuchende über einen gewissen Zeitpunkt, ein Gefühl oder einen Impuls, der sie veranlasst, endlich Hilfe zu suchen? Wann sagen Sie, ist es tatsächlich soweit?
Bei finanziellen Belastungen steckt oft ein aktueller Auslöser dahinter, zum Beispiel ein Bankgespräch. Die Impulse von außen sind sehr vielfältig: Anregungen durch Freunde oder Familie, ein Seminar (z.B. der SVLFG), Fachberater, Tierärzte oder ein Anruf beim landwirtschaftlichen Sorgentelefon. Bei psychischen Belastungen führt oftmals das Gefühl des berühmten letzten Tropfens dazu, sich an die Beratung zu wenden. Das kann eine Diagnose eines Arztes, ein Unfall, eine defekte Maschine oder auch ein krankes Tier sein. Dies führt dann zu dem Gedanken „So kann es nicht mehr weitergehen“ und dem Anruf bei uns.
Wie stellt man sich so eine Beratung vor?
Der Erstkontakt erfolgt meistens über das Telefon. Wir hören zu, versuchen das Hauptanliegen zu erfassen und vereinbaren einen Termin für ein Beratungsgespräch. Häufig erfolgt auch gleich im ersten Telefonat der Hinweis auf das Einzelfallcoaching der SVLFG, unser wichtigster Netzwerkpartner bei psychisch belasteten Anruferinnen und Anrufern. Das Einzelfallcoaching ist eine hilfreiche Ergänzung zu unserer Arbeit.
Im Einzelgespräch analysieren wir gemeinsam mit den Familienmitgliedern die Situation und legen die Bearbeitungsschritte fest. In den allermeisten Fällen erfolgt die Begleitung über einen längeren Zeitraum. Die einzelnen Termine finden entweder vor Ort auf dem Hof oder in der Beratungsstelle statt. Mediationen werden an einem neutralen Ort durchgeführt, damit keiner der Konfliktpartner einen „Heimvorteil“ hat.
Haben Sie Ideen, wie wir Betroffene dazu bringen können, schneller Hilfe zu suchen?
Was würden Sie allen Betroffenen gerne in einem Satz sagen?
Je früher Sie sich an die Beratung wenden, umso schneller tritt die Entlastung ein!
Wünschen Sie sich bezüglich sozioökonomischer Beratung und Mediation noch etwas von der SVLFG? Oder läuft es schon gut?
Ich bin sehr froh über die sehr gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der SVLFG! Mein Wunsch wäre ein ähnliches Angebot für die Nebenerwerbslandwirtinnen und -landwirte, die bislang nicht in den Genuss der Förderung kommen. Sie stehen ebenfalls vor großen Herausforderungen in ihrem Alltag.
Woher stammt Ihr Bezug zur Landwirtschaft?
Ich stamme von einem landwirtschaftlichen Betrieb in Dithmarschen, der heute von meinem Bruder und meinem Neffen bewirtschaftet wird.
Wie lange sind Sie schon in diesem Bereich beratend tätig und was motiviert Sie?
Ich habe 1989 nach dem Studium in einem Beratungsring für Milchviehbetriebe angefangen und bin seit 1994 bei der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein tätig. Meine Hauptmotivation liegt darin, landwirtschaftliche Familien auf ihrem Weg zu begleiten und sie in schwierigen betrieblichen, persönlichen oder familiären Situationen zu unterstützen, damit sie gute und nachhaltige Entscheidungen treffen können.
In welchen betrieblichen und persönlichen Situationen wenden sich die Menschen an Sie?
Häufig geht es um Überlastungssituationen und unklare Zukunftsperspektiven. Das betrifft sowohl Familien in angespannter finanzieller Situation als auch wachstumsorientierte Betriebe mit Problemen hinsichtlich der Arbeitswirtschaft. Oftmals sind auch ungeklärte Fragen zur Hofübergabe oder bestehende Konflikte ein Thema.
Berichten Hilfesuchende von einem bestimmten Zeitpunkt, einem Gefühl oder Impuls, der sie veranlasst, endlich Hilfe zu suchen? Wann ist es tatsächlich soweit?
Oft gibt es Impulse von außen – jemand hat etwas über das Beratungsangebot gehört oder die Familie wurde durch einen Flyer oder Artikel darauf aufmerksam. Es geht vielfach um größere Veränderungsprozesse, wie eine grundlegende Umstrukturierung oder die Einstellung der aktiven Bewirtschaftung. Diese schwierigen Themen erfordern oft eine gewisse Reife, um sich ihnen zu stellen. Häufig wäre es jedoch hilfreich, sich früher Unterstützung durch die Beratung zu holen.
Wie läuft eine solche Beratung ab?
In der Regel wird über den telefonischen Erstkontakt die Dimension des Themas deutlich. Oft folgt ein erstes Gespräch auf dem Betrieb, woraufhin die Fragestellungen gezielt bearbeitet werden. Bei schwierigen Entscheidungen und persönlichen Situationen beraten und begleiten wir die Kunden oft zu zweit. Nach unserer Erfahrung ist es hilfreich, wenn im Team jüngere und ältere sowie weibliche und männliche Beratende zusammenarbeiten.
Haben Sie Ideen, wie wir Betroffene dazu bringen können, schneller Hilfe zu suchen?
Wir müssen unsere Angebote für Multiplikatoren wie Beratungsringe, Steuerberater, Banker und ähnliche Gruppen noch bekannter machen.
Erfolgreiche Praxisbeispiele könnten den Betroffenen helfen, die Hemmschwelle zu überwinden und Unterstützung zu suchen.
Was würden Sie allen Betroffenen gerne in einem Satz sagen?
Die Zusammenarbeit zwischen der LKSH und der SVLFG, die im Januar 2023 begonnen hat, verläuft meiner Meinung nach sehr erfolgreich. Der regelmäßige Austausch erweist sich als äußerst nützlich und wichtig.
Auch die gemeinsamen Fortbildungen sind von großer Bedeutung.
Woher kommt Ihr Bezug zur Landwirtschaft?
Ich stamme aus einem landwirtschaftlichen Milchviehbetrieb in der Mitte des Dreiecks München, Landsberg und Garmisch-Partenkirchen und bin weichender Erbe. Meine Kindheit und Jugend wurden vom landwirtschaftlichen Umfeld, bäuerlichen Werten und dem Engagement in der Landjugend geformt. Meine berufliche Laufbahn, Ausbildungen und spezifischen Tätigkeiten waren und sind durch die Agrarbranche und den ländlichen Raum geprägt.
Wie lange sind Sie schon in diesem Bereich beratend unterwegs und was ist Ihre Motivation?
Seit 33 Jahren engagiere ich mich auf verschiedenen Ebenen im Bayerischen Bauernverband. In dieser Zeit habe ich mich intensiv mit allen Fragen und Sorgen der Bauernfamilien in ganz Bayern auseinandergesetzt. Meine aktive Rolle umfasst diverse Dienstleistungsbereiche, wobei ich mich besonders auf Beratung und Mediation bei Generationenwechsel und Hofübergabe spezialisiert habe.
Es ist meine Motivation, Menschen und ihre Familien in schwierigen und wandelnden Lebens- und Berufsphasen zu unterstützen und ihnen einen echten Mehrwert zu bieten.
Große Zufriedenheit und Dankbarkeit empfinde ich, wenn aus meiner Arbeit Klarheit und Mut für wichtige Entscheidungen resultieren. Es ist ein Privileg, mein Wissen und meine Erfahrungen als Unterstützung zur Selbsthilfe weitergeben zu können. Es bereitet mir Freude zu sehen, wie Menschen in Familienbetrieben Eigenverantwortung übernehmen und dadurch sowohl Erfolg als auch persönliches Wachstum erzielen.
In welchen betrieblichen und persönlichen Situationen wenden sich die Menschen an Sie?
Betrieblich geht es ganz oft um die zentrale Frage „Wie geht es mit dem Betrieb weiter? Für ein Familienunternehmen wird es schnell zu einer existentiellen Frage, wenn Perspektiven fehlen und Sinnhaftigkeit der eigenen Arbeit verloren gehen. Das ist nicht zuletzt deshalb auch so fundamental, weil Landwirtsfamilien nachhaltig in Generationen denken und handeln möchten. Die Spannungsfelder zwischen Preis- und Marktdruck, Umwelt- und Tierschutz, politischer Aktionismus mit fehlender Verlässlichkeit, überhandnehmender Bürokratie und die Kritik der Gesellschaft wird manchmal zur täglichen Zerreißprobe.
Nicht zu vergessen die latente Arbeitsüberlastung und damit dem Gefühl „wir schaffen es nicht mehr“ und auch immer wieder das Thema „Auskommen mit dem Einkommen“, was oft zeitversetzt nur die Folge von langzeitigen Ungleichgewichten ist. Die konkrete Frage der Nachfolgelösung ist dabei auch ein zentrales Thema. Ungeklärte Nachfolgesituationen machen den Versicherten sehr zu schaffen und schlagen auf die Gesundheit.
Persönlich geht es immer wieder um zwischenmenschliche Konflikte, die meist zu lange im Alltag verdrängt und nicht thematisiert oder zu wenig ernst genommen werden.
Häufig sind es die belastenden Wechselwirkungen zwischen Beruf und Familie, die dazu führen, dass negative Gedanken das Gedankenkarussell ununterbrochen antreiben. Konzentrationsschwierigkeiten und Schlaflosigkeit werden oft als Symptome beschrieben.
Berichten Hilfesuchende von einem bestimmten Zeitpunkt, einem Gefühl oder Impuls, der sie veranlasst, endlich Hilfe zu suchen? Wann ist es tatsächlich soweit?
Oft hängt es von der persönlichen Schmerzgrenze ab. Das Gefühl der Sinnlosigkeit, die Unfähigkeit weiterzumachen... nicht mehr schlafen, nicht mehr mit der Familie oder der Bank sprechen zu können. Auch das Gefühl der Hilflosigkeit kann zum Handeln anregen. Manchmal sind es auch Empfehlungen von Berufskollegen, die bereits positive Erfahrungen mit Beratung oder Unterstützung gemacht haben. Leider führen auch Extremsituationen wie Todesfälle, Unfälle und schwere Erkrankungen zu Entscheidungen.
Wie kann man sich so eine Beratung vorstellen?
So eine Beratung teilt sich in der Regel in folgende Phasen:
- Die Kontaktphase:
In der Kontaktphase geht es darum, die Menschen dort abzuholen, wo sie gerade stehen. Die Beteiligten möchten verstehen, wie der Ablauf ist und wie die Zusammenarbeit gestaltet wird. Dabei steht zunächst das Zuhören und der Aufbau von Vertrauen im Vordergrund. Die Menschen möchten viel besprechen und sich verstanden wissen. - Die Beratungsphase:
Hier gilt es zunächst mal herauszuarbeiten, was sind die wirklichen Themen und wie sind die Prioritäten. Dabei geht es ganz viel um Interessen und Bedürfnisse der Beteiligten, wo drückt der Schuh und was können die Ursachen sein. Es geht um das Bewusstmachen und Verstehen der Themen, die es anzugehen gilt. - Die Intensivberatungsphase:
Da geht es dann ins Detail und darum, gemeinsam auch über Lösungsideen und -Möglichkeiten nachzudenken. Was hilft uns wirklich weiter? Was sind unsere Stärken? Welche Kompetenzen und Ressourcen sind vorhanden und können mobilisiert werden? Die Beteiligten kennen sich selbst am besten. Es geht darum, offen und ehrlich mit sich selbst und anderen umzugehen, dabei jedoch immer Wertschätzung zu bewahren. Parallel besteht zusammen mit den Beratern die Aufgabe, immer den Realitätscheck zu machen, was geht und was nicht. - Die Umsetzungsphase:
Jetzt geht es darum, konkrete Schritte zu planen und umzusetzen, ohne die Beteiligten zu überlasten. Es ist entscheidend, Bewegung in die anstehenden Themen und Bedürfnisse zu bringen. Die Menschen müssen das Gefühl haben, dass Veränderungen stattfinden. Da geht es gar nicht um die großen Schritte, sondern eventuell um kleine Etappen, die im Alltag etabliert werden. Wenn Veränderung spürbar wird, wachsen auch Selbstwertgefühl und Motivation. - Die Nachlaufphase:
Hierbei vereinbart man, dass in gewissen Zeitabständen immer darauf geschaut wird, was läuft gut und was würde uns noch weiterhelfen. Besser kann es nämlich immer noch werden. Die beschriebenen Phasen darf man wie Dauerschleifen sehen. Da werden Probleme oder Herausforderungen nicht mit einem Durchgang gelöst, sondern es geht darum, mit Hilfe zur Selbsthilfe die Veränderungs-Kompetenzen zu fördern und zu unterstützen.
Nach dem Motto „Tue Gutes und rede darüber“ sollten wir bei jeder Gelegenheit über die positiven Erfahrungen von Berufskollegen berichten – das wirkt authentisch und ist vertrauensbildend. Die Erkenntnis, dass man selber nicht alleine mit den vielen Herausforderungen ist, hilft über die Komfortzone hinauszugehen.
Wichtig für die Versicherten ist, dass man mit einem niederschwelligen Zugang an die Beratung herankommt, das heißt, wir sollten die Landwirtsfamilien noch besser abholen im Rahmen von Informationsveranstaltungen, Fachmedien, Bildungseinrichtungen, Seminarangeboten und den konkreten Beratungsangeboten. Es muss ankommen, dass es keine Schwäche, sondern eine Stärke ist, wenn man möglichst zeitig und regelmäßig professionelle Beratung und Hilfe von außen holt. Wir sind dazu da, uns gegenseitig das Leben leichter zu machen und dafür darf jede(r) seine Fähigkeiten einsetzen.
Was würden Sie allen Betroffenen gerne in einem Satz sagen?
Es lassen sich Lösungen selbst für Herausforderungen finden, die zunächst einmal unlösbar erscheinen - Lösungen ergeben sich oft, wenn alle Beteiligten und Betroffenen nach Gemeinsamkeiten und einem gemeinsamen Nenner suchen.
Wünschen Sie sich bezüglich sozioökonomischer Beratung und Mediation noch etwas von der SVLFG? Oder läuft es schon gut?
Es läuft grundsätzlich schon sehr gut und wir sind sehr dankbar für dieses Angebot. Es trägt dazu bei, dass die Familien die Hürde „Gang zur Beratung und Mediation“ leichter nehmen. Wir würden uns diese Angebote auch für Nebenerwerbslandwirte als Präventionsleistung über die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft und auch für die Rentenbezieher über die landwirtschaftliche Krankenkasse, wünschen. Sie führen immer häufiger, wegen ungeklärter Nachfolgesituationen, den Betrieb unter starken Belastungen weiter.